Markenführung

Ordnung und Unordnung die zwei Prinzipien der Markenführung

Ein Beitrag aus Bilanz – Das deutsche Wirtschaftsmagazin – Mai 2018

Wer Markenführung verstehen will, muss die Rolle der Grundprinzipien Ordnung und Unordnung verstehen. So gilt in der Markenstrategie das Prinzip Ordnung aus Ordnung. Und in der Markenkreation gilt das Prinzip Ordnung aus Unordnung.

Eine berühmte Leitfrage von Jeff Bezos, CEO von Amazon, lautet: „How do you keep the vitality of day one, even inside a large organization?“ Die Vitalität des ersten Tages eines Unternehmens ist immer eine Mischung aus strategischer Ordnung und kreativer Unordnung. Diese Beständigkeit der Ordnung und diese Dynamik der Unordnung braucht eine Organisation auch in der Markenführung. Markenführung ist somit das Management von Ordnung und Unordnung – und das macht selbige zu einer komplexen und anspruchsvollen Managementaufgabe.

Unternehmen brauchen für ihr Marketing eine innere Ordnung. Es geht darum, im Sinne der Marke vernünftig zu handeln. Das heißt: Das Marketing braucht eine Ordnung der abstrakten Lösungen mit grundlegenden Werten und allgemeingültigen Regeln. Dieses Selbstbild aus der Unternehmenssicht muss dann für alle Markenbotschafter verbindlich sein – vom CEO bis zum Praktikanten. Eine solche Ordnung schafft die Markenidentität. Sie ist die strategische Ebene der Markenführung und wird auch als Substanz einer Marke bezeichnet. Das Unternehmen wird dabei mit individuellen Werten und einer spezifischen Haltung aufgeladen. Auf Basis dieser Markenidentität wird die Marke dann gemäß dem ultimativen Kundenversprechen oder dem kaufentscheidenden Kundenmotiv positioniert. So wird das Morgen der Positionierung mit dem Heute und Gestern der Markenidentität vereint.

Schriftliche Fixierung der Markenidentität
Eine Markenidentität schafft ein emotionales Bündnis zum Kunden sowie eine innere Verbundenheit zwischen Marke und Produkt. Eine Markenidentität sollte nun aus einem Zielleitbild (was ist unser Traum?), einem Markenleitbild (für welche Werte stehen wir ein?), einer Markenpersönlichkeit (welche menschlichen Eigenschaften bieten wir zur Identifikation an?), einem Markenversprechen (was wünschen sich die Menschen?) und einem Markenmanifest (was treibt uns an?) bestehen.

Wichtig ist nun die widerspruchsfreie und schriftliche Fixierung der Markenidentität. Strategische Markenführung braucht daher erstens sprachliche Ordnung und Präzision – die Arbeit an der Sprache ist immer zugleich Arbeit am konsistenten Gedanken. Zweitens muss sichergestellt werden, dass die Markenidentität auch an neue Kollegen in einer schriftlichen Form weitergegeben wird, denn:

1. Kunden müssen erkennen können, dass ein Unternehmen für etwas steht. Dieses Etwas ist die nachhaltige Identität.
2. Nur wenn alle Unternehmensangehörigen ein gemeinsames Gedächtnis und Verständnis von der eigenen Identität, der Positionierung und dem Soll-Image haben, ist das Ziel einer starken Marke erreichbar.

Auf dem Feld der strategischen Markenführung darf es also keine Unklarheiten und Interpretationsspielräume bei den Mitarbeitern geben. Jede Unschärfe und Unordnung gilt es hier zu vermeiden. Es gilt, sauber zu arbeiten. Wenn ein Unternehmen aber nicht weiß, wohin es mit seiner Marke wie gehen soll, dann wird es irgendwo und irgendwie ankommen.

Wie geht man mit kreativer Unordnung um?
Sir John Hegarty, Kreativchef und Mitgründer der Londoner Werbeagentur Bartle Bogle Hegarty (BBH) schrieb: „Process is trying to make order out of chaos. Creativity is trying to make chaos to create order. They are at opposite ends of a spectrum.“

Wirksame Markenkreation entsteht aus dem Mut zum Chaos und aus dem Drang, der Tendenz zur Normierung etwas entgegenzusetzen, um die wunderbare Vielfalt der Welt zu erhalten – und sie entsteht aus spontaner Intuition. Kreativität in Form von interner Kommunikation und kreativer Werbung mit dem Ziel der Etablierung eines attraktiven Markenimages ist eine Art von innerer Sprache eines Unternehmens, die das Verhalten, die Emotionen und das Denken aller Zielgruppen in die Richtung des angestrebten Images steuert.

Was ist Kreativität? Das ist nicht nur eine schwierige, sondern vielleicht nicht mal eine gute Frage. Das Offensichtliche kann jedenfalls manchmal schwer zu definieren sein. So hat Louis Armstrong auf die Frage eines Fans nach der Definition von Jazz weise geantwortet: „Mensch, wenn du schon fragen musst, wirst du es nie begreifen.“ Kreativität unterscheidet sich in ihren Merkmalen und Leistungen jedenfalls so sehr, dass eine allgemeine Definition uns kaum eine Vorstellung von der Vielfalt geben kann, die sich in diesem Begriff vereint. Gerade die Vielfalt und Verschiedenartigkeit, die Lebendigkeit und Spielfreudigkeit, die Komplexität und Einfachheit sind wesentliche Kennzeichen der Kreativität. Kreativ ist letztlich jeder, der out of the box denkt und neue Wege geht.

Markenkreation entsteht also nicht aus einer Ordnung der Logik und Vorschriften. Sondern aus der Unordnung der Fantasie und Emotionen. Aus Querdenkertum und Nonkonformität. Markenkreation braucht jedoch ein kreatives Spielfeld. Dieses darf weder zu klein noch zu groß sein. Kreativität braucht einen gewissen Freiraum zur Entfaltung und zugleich auch klare Regeln und Grenzen. Die Markenstrategie muss das Spielfeld daher definieren und so der Kreativität Orientierung und Richtung geben.

Der ordnungsliebende Markenmanager muss also ein Führungskonzept besitzen, das zum Ausdruck bringt, für welche wesensprägenden und imageprägenden Merkmale die Marke steht. So kann er den Agenturkreativen klare Grenzen setzen. Jedoch sollte er nie Vorschriften machen, wie diese ihren kreativen Job zu machen haben. Denn die Kreativität von Textern und Grafikern einem strategischen Diktat zu unterwerfen, Kreativagenturen zu gesteuerten Lieferanten zu degradieren, all das schadet letztlich der Marke. Manche Marken hat es sogar ins Verderben gestürzt.

In der Markenkreation, also aus einer Markenstrategie ein Markenimage zu machen, geht es primär um Brandingelemente (Logo, Claim, Bildwelt etc.) und Kampagnen. Man sollte nun wissen, dass ein Branding, das keine Emotionen auslöst, de facto für das Gehirn nahezu wertlos ist. Es sind die Emotionen, welche die Hauptentscheider im menschlichen Gehirn sind. Sprich: Mit dem rationalen Leistungsversprechen des Produkts wird der Verstand der Kunden erobert. Und mit dem emotionalen Werteversprechen wird das Herz der Kunden erobert. Im Bereich der Markenkreation gilt es also, quasi unsauber zu arbeiten.

Fazit
Das System Marke besteht aus zwei wesentlichen Aspekten: der strategischen Markenidentität und dem kreativen Markenimage. Kreativität kann Strategie daher nicht ersetzen – und Strategie kann Kreativität nicht ersetzen. Gute Markenführung braucht sowohl die makroskopische Ordnung für die Markenidentität als auch die mikroskopische Unordnung für das Markenimage.

Die Herausforderung, vor der alle Unternehmen stehen, liegt nun in zwei Fragen:

1. Wie schaffen wir Ordnung in der linken Gehirnhälfte des Markengehirns unserer strategischen Markenführung, und wie gehen wir mit Unordnung in der rechten Gehirnhälfte unserer kreativen Markenführung um?
2. Und wie schaffen wir eine optimale Arbeitsteilung zwischen den beiden Gehirnhälften?

Wichtig ist, dass Markenstrategen und Kreative sich nicht gegenseitig hemmen beziehungsweise gegeneinander arbeiten. Identitätsbildung und Imagebildung müssen sich zu einem Gesamtverhalten zusammenfügen, müssen Hand in Hand gehen.
Unternehmen, die das verstanden haben und umsetzen, haben einen Wettbewerbsvorteil. Es geht also wie so oft um Leadership. Manche Unternehmenskulturen neigen dazu, Unordnung generell als Störung zu betrachten – und diese dementsprechend zu bekämpfen. Im Bereich der Markenführung ist ein solches Denken jedoch nicht zielführend. Die besten Leadership-Kulturen sind diejenigen, die kreative Unordnung als Chance sehen, bessere Markenarbeit zu leisten.  Mit einer solch verstandenen Brand Leadership bleiben Unternehmen auf dem strategischen und kreativen Pfad – und damit auf dem Erfolgspfad. Natürlich ist es leicht, das zu schreiben – und viel komplizierter, das zu machen. Aber so werden Marken stark.

Der Autor ist Geschäftsführer von GoYa! Die Markenagentur und BILANZ-Kolumnist.